Telemedizin-Anbieter revolutionieren die Branche

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Die Telemedizin hat ihre Wurzeln in den USA. Sie wurde ursprünglich zur Verbesserung der medizinischen Versorgung in ländlichen Gebieten entwickelt. Ihre Vorteile gehen jedoch weit darüber hinaus, sodass sie nach und nach weltweit immer mehr Anerkennung findet. Das wachsende Interesse hat auch finanzielle Gründe: Dem britischen NHS zum Beispiel bietet Telemedizin ein Einsparungspotenzial von 7,5 Mrd. GBP und verspricht eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 27,7 % (CAGR).

Doch obwohl die Mehrheit der Erwachsenen in Großbritannien das Internet nutzt, haben bislang nur 2 % der Bevölkerung digitale Transaktionen mit dem NHS durchgeführt. Es liegt auf der Hand: Der Spielraum für den Einstieg in den Telemedizin-Markt ist groß und der Zeitpunkt angesichts der Auswirkungen von COVID-19 auf viele Arztpraxen günstig.

Was ist Telemedizin?

Telemedizin ist ein Teilbereich der sogenannten Telehealth, die wir in Deutschland als E-Health kennen. Diese deckt die gesamte Gesundheitsversorgung und -technologie ab, während Telemedizin sich vor allem auf die digitale Bereitstellung ärztlicher Dienste für Patienten konzentriert. Telemedizin umfasst:

  • Echtzeit-Sprechstunden per Chat, Telefon oder Videokonferenz
  • Asynchrone (auch Store-and-Forward) Evaluierungen
  • Weiterleitung von medizinischem Bildmaterial an Spezialisten 
  • Rezeptausstellung ohne persönliches Erscheinen

Die Begriffe Telemedizin und Telehealth werden oft wechselweise verwendet, d. h., es gibt Leistungen, die einmal als Telemedizin bezeichnet und einmal dem übergeordneten Bereich Telehealth zugeordnet werden. Dies gilt zum Beispiel für:

  • Remote-Überwachung von Patienten
  • Online-Therapie oder -Reha
  • Medizinische Warnsysteme (gelten normalerweise als eigener Bereich: Telecare)

Zur Vereinfachung verwenden wir den Begriff Telemedizin in seiner engeren Definition, greifen jedoch vereinzelt auch andere Aspekte des Bereichs Telehealth auf, da viele Anbieter ein breiteres Spektrum haben.

Die verschiedenen Kategorien von Telemedizin-Anbietern

Auch wenn man die engere Definition zugrunde legt, gibt es eine Vielzahl verschiedener TelemedizinAnbieter, die jeweils unterschiedliche Services abdecken und auf zwei verschiedene Arten arbeiten. 

1. Services für den NHS/private Praxen

Einige Telemedizin-Anbieter arbeiten für den NHS oder für private Praxen, d. h., sie benötigen kein medizinisches Fachwissen, sondern stellen lediglich die Infrastruktur bereit. Eines dieser Telemedizin-Unternehmen ist medio.link. Zu seinem Leistungsspektrum gehören MDT-Räume für multidisziplinäre Teams und virtuelle Kliniken. Der Service von medio.link verarbeitet in Großbritannien landesweit jährlich 40.000 Anrufe zwischen einem Digital Nursing Hub (digitales Versorgungszentrum) und mehr als 600 Seniorenwohn- und Pflegeheimen. 

2. Medizinische Beratung für die Allgemeinheit

Alternativ können Telemedizin-Anbieter ihre virtuellen Medizinservices auch direkt für Patienten bereitstellen. Dies erfolgt meist über Apps, Websites oder mittels Smart Technology. Oft sind diese Services jedoch noch mit dem bestehenden Netzwerk des NHS oder privater Praxen verknüpft. Ein Beispiel hierfür ist Push Doctor, ein Vermittlungsservice zwischen Patienten und verfügbaren Medizinfachkräften. Hier wird eine Plattform bereitgestellt, auf der Patienten digital mit einem Allgemeinarzt in Verbindung treten können und eine Remote-Termin per Video erhalten, nachdem sie sich online registriert haben.

Telemedizin-Anbieter lassen sich also grob in diese beiden Hauptkategorien einteilen – Anbieter, die nur mit Gesundheitsversorgern interagieren, und Anbieter, die sowohl mit Gesundheitsversorgern als auch direkt mit Patienten interagieren. 

Status Quo der Branche

Die Situation der Telemedizinbranche in Großbritannien unterscheidet sich deutlich von der in den USA. Dort gelten je nach Bundesstaat unterschiedliche Regelungen und die Gesundheitsleistungen hängen von der jeweiligen Medicare-Versorgung ab. Die medizinische Grundversorgung kann dort also oft nur Menschen in bestimmten Regionen (meist ländliche Gebiete) oder bestimmten Situationen (ältere oder nicht mobile Menschen) angeboten werden. Ganz anders dagegen das System in Großbritannien.

Die meisten Briten sind Patienten bei einem Allgemeinarzt des NHS (NHS GP). Außerdem gibt es Privatversicherte oder Menschen, die bestimmte medizinische Dienste als Privatleistungen in Anspruch nehmen. Das bedeutete für die Telemedizinanbieter, dass sie das NHS-System kennen und entweder innerhalb dieses Systems oder mit dem System arbeiten müssen. Zudem müssen sie bestimmte Erwartungen der Patienten erfüllen.

Als sehr wichtiger Faktor kommt momentan natürlich noch das Coronavirus hinzu. Viele Ärzte waren durch die Pandemie gezwungen, remote zu arbeiten, ohne dabei immer über die nötige Infrastruktur zu verfügen. Von dieser gezwungenermaßen beschleunigten Verbreitung virtueller Plattformen zur Patientenversorgung ist ein langfristiger Effekt zu erwarten, da sich Patienten und medizinische Fachkräfte zunehmend an die neuen Systeme gewöhnen.

Vor Februar 2020 wurden nur 0,6 % der Termine online durchgeführt. Jetzt dagegen meldet BBC, dass „Allgemeinärzte aufgrund der Pandemie nur sieben von 100 Patienten persönlich sehen“ – also 93 % der Termine online oder per Telefon stattfinden. Videosprechstunden dürften also die Hausbesuche ablösen.

Eine große Rolle für die Praxistauglichkeit der Telehealth spielt auch die Frage, ob Versorger von zu Hause aus Telemedizindienste leisten können. Einige Telemedizinservices konzentrieren sich auf die Anbindung der Patienten an sogenannte Hubs – etwa an den Digital Nursing Hub von medio.link oder, im ländlichen Raum, an das lokale Krankenhaus. Durch COVID-19 jedoch hat sich der Schwerpunkt auf Remote-Termine verlagert, die sich zunehmend als Standard durchsetzen. Da viele Allgemeinärzte nun ihre Telefonsprechstunden von zu Hause aus halten und persönliche Termine auf dringende oder komplexere Fälle beschränken, könnte dieser Trend die Weiterentwicklung der virtuellen Gesundheitsversorgung bestimmen.

Eingesetzte Technologien

In der Telemedizin kommt eine Vielzahl von Technologien zum Einsatz. Einige Telemedizin-Unternehmen sind auf einen spezifischen Aspekt fokussiert, andere haben ein deutlich breiteres Spektrum. Hier einige der wichtigsten Technologien, die in der Telemedizin verwendet werden.

1. Videokonferenzen

Für die meisten Menschen bedeutet Telemedizin eine Art „Doctor-on-Demand“, der bei Bedarf per Smartphone oder Computer virtuell konsultiert werden kann. Voraussetzung hierfür ist ein Video-Chat in höchstmöglicher Qualität, um den Anforderungen wirklich gerecht zu werden. Es kommt darauf an, dass alle sichtbaren Symptome klar erkennbar sind, vor allem bei kleinen Erscheinungen wie z. B. Muttermalen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die erhöhten Sicherheitsanforderungen eines ärztlichen Video-Calls, da der Inhalt vertraulich bleiben muss. Während die USA vorwiegend auf HIPAA setzen, müssen in Großbritannien mindestens die Standards des NHS eingehalten werden, um dem HSCN (Health and Social Care Network) zu entsprechen. In der COVID-19-Krise wurden hier allerdings Zugeständnisse gemacht. 

Die BMA (British Medical Association) schreibt in ihren Empfehlungen: „Kommerzielle Produkte … können in Erwägung gezogen werden, wenn dringend ein Videogespräch mit einem Patienten erforderlich ist und kein anderes Produkt zur Verfügung steht.“ Außerdem, so heißt es, müsse das Risiko der Verwendung eines Alternativprodukts gegenüber dem eines entfallenen Termins abgewogen werden.

2. Telefonsprechstunde

Nicht alle Patienten verfügen über eine Internetverbindung, die einen unterbrechungsfreien Video-Call ermöglicht, sodass Telefonanrufe weiterhin einen wesentlichen Teil der Kommunikation ausmachen. Viele Praxen bieten bereits Telefonsprechstunden an, entweder für Menschen, die körperlich nicht in der Lage sind, in die Praxis zu kommen, oder zur Überprüfung der Medikation ohne physische Begutachtung. 

Doch jede Praxis verwendet dabei ein anderes Verfahren, das nicht standardisiert ist und oft ähnlich abläuft wie bei einem persönlichen Termin. Zunächst erfolgt die telefonische Terminanfrage, daraufhin wird ein Terminzeitraum genannt, in dem dann auf Rückruf gewartet wird. Dies bringt uns zur nächsten Technologie, die hier nicht fehlen darf …

3. Terminplanungssoftware

Telemedizin könnte eine Alternative für die konventionelle telefonische Terminvergabe durch die Sprechstundenhilfen oder den Praxisbesuch sein, bei dem man zu bestimmten Zeiten auf reservierte Slots wartet. Mithilfe einer Terminplanungssoftware könnten die Patienten dann selbst einen Termin buchen.

In der Software werden alle freien Slots des betreffenden Arztes angezeigt und können gebucht werden, ähnlich wie in anderen Bereichen (z. B. Friseur), wo diese Technologie zum Einsatz kommt. Die Benutzer können in der Software auch sehen, welche Ärzte sofort verfügbar sind – ein Vorteil für Patienten, die keinen bestimmten Arzt aufsuchen möchten, sondern nur einen kurzen Termin oder eine dringende Versorgung benötigen. Dabei ist es wichtig, Pausenzeiten oder auch längere Termine in die Planung zu integrieren, da Remote-Arbeit bei Menschen, die nicht daran gewöhnt sind, zu einem Burnout führen kann.  

4. Erinnerungen und Untersuchungsergebnisse per SMS

Immer mehr Praxen gehen dazu über, ihre Patienten nicht mehr per E-Mail oder Telefon an Termine zu erinnern, sondern per SMS. Ist zudem eine Terminplanungssoftware implementiert, können die Patienten sich für die Terminerinnerung eintragen und ihre dafür am besten geeignete Telefonnummer angeben. SMS-Erinnerungen können auch die Anzahl versäumter Termine reduzieren, die für viele Praxen ein großes Problem darstellen. Laut aktuellen Studien zur Frage nach der geeigneten Formulierung für solche Erinnerungen scheint es die beste Methode zu sein, die durch versäumte Termine verursachten Kosten zu erwähnen.

Ein weiterer Vorteil von SMS ist die einfache und schnelle Mitteilung von Untersuchungsergebnissen. Sie spart Telefonate und ist deshalb nicht nur effizienter, sondern auch sicherer, da Textmeldungen mindestens die gleiche Sicherheit garantieren wie Sprachnachrichten.

5. Elektronische Rezepte

Es existieren zwar bereits Systeme zur Ausstellung von E-Rezepten, doch sie weisen noch Lücken auf und variieren je nach Praxis. Viele Apotheken akzeptieren zudem nur Rezepte auf Papier oder erlauben keine Zusendung, sondern nur die persönliche Abgabe von Rezepten.

Die praktische Umsetzung von E-Rezepten ist auch deshalb schwierig, weil sie auch die Unterstützung von Apotheken erfordert. Glücklicherweise jedoch steigt die Akzeptanz, und die Verbreitung von E-Rezepten und elektronischen Apotheken nimmt zu. Ein sehr gutes Beispiel, vor allem für Wiederholungsrezepte, ist Pharmacy2U. Die Patienten können die verordneten Medikamente bei der Apotheke anfordern, die sie wiederum beim Hausarzt anfordert und nach dessen Prüfung an den Patienten sendet. Andere Apotheken, z. B. Boots, haben ähnliche Services implementiert.

6. Sicheres Speichern und Weiterleiten (Store-and-Forward)

Asynchrone Telemedizin hat für viele Patienten, vor allem chronisch Kranke, eine wichtige Bedeutung. Oft werden dabei Informationen vom Patienten an den Hausarzt übermittelt und von diesem zu einem Spezialisten weitergeleitet. Beispiel: Ein Patient bekommt einen Hautausschlag. Der Hausarzt fordert den Patienten auf, ein Foto davon zu machen und es ihm zuzusenden. Ist es dem Hausarzt dann nicht möglich, anhand des Fotos eine Diagnose zu stellen, leitet er es an einen Dermatologen weiter.

Eine solche Situation synchron zu handhaben, wäre organisatorisch extrem schwierig. Mit Store-and-Forward bleiben Patient, Hausarzt und Dermatologe zeitlich flexibel, um je nach eigener Verfügbarkeit das Foto zu machen, anzusehen etc. Zudem muss der Patient so den Spezialisten erst dann aufsuchen, wenn tatsächlich eine physische Untersuchung nötig ist.

Da hier vertrauliche medizinische Daten übermittelt werden, gelten ähnliche Sicherheitsanforderungen wie für Videokonferenzen, plus zusätzliche Anforderungen für die Datenspeicherung. 

7. Sicherer Zugriff auf Patientenakten

Gesundheitsversorger benötigen Zugriff auf Patientendaten. Das Einverständnis des Patienten vorausgesetzt, führt der Hausarzt eine allgemeine Übersichtsakte, die helfen soll, Medikationsfehler zu vermeiden und eine höhere Sicherheit der medizinischen Behandlung durch andere zu ermöglichen. Inhalt dieser Patientenakte (mindestens):

  • Aktuelle Medikation
  • Allergien
  • Bisher aufgetretene Nebenwirkungen von Medikamenten
  • Name
  • Adresse
  • Geburtsdatum
  • NHS-Nummer

Aufgeführt sein können auch chronische Erkrankungen, wichtige Informationen zur jeweiligen Krankengeschichte sowie Hinweise zur Kommunikationsmethode. Bedingt durch die aktuelle Situation werden zudem alle Informationen zu COVID-19 in der Patientenakte vermerkt, z. B. besondere Schutz-/Vorsichtsmaßnahmen und Teststatus des Patienten.

Damit eine Behandlung möglich ist, müssen Telemedizin-Anbieter zumindest auf die Übersichtsakte oder idealerweise auf alle Daten des Patienten zugreifen können. Dies bedeutet für Ärzte und Apotheken, die remote arbeiten, dass der Zugriff auf die Daten nur auf sicherem Weg erfolgen darf und keine Speicherung erlaubt ist. Hier kommen dann Technologien wie VPN-Token und Remote-Zugriff zum Einsatz. Ein guter Telemedizin-Anbieter wird transparent offenlegen, wie er auf die Daten zugreift und sie speichert und was mit den Daten geschieht, wenn der Patient den Anbieter verlässt.

8. Machine Learning für die Remote-Überwachung von Patienten

Wie anfangs erwähnt, wird die Remote-Überwachung von Patienten teils dem übergeordneten Bereich Telehealth zugeordnet und teils der Telemedizin. Wir haben Sie in diesen Blog-Post aufgenommen, weil sie einige sehr interessante technologische Aspekte aufweist – insbesondere die Interaktion mit KI und Machine Learning.

Die Remote-Überwachung von Patienten beinhaltet in der Regel entweder die Übermittlung der erfassten Daten direkt an den Arzt zur Begutachtung oder die Übermittlung an ein Team, um etwaige Anomalien festzustellen. Mithilfe von Machine Learning lässt sich dieser Aufwand reduzieren, indem Anomalien registriert und dem medizinischen Personal gemeldet werden. Machine Learning erfordert zwar viel Entwicklungsarbeit, da es auf Basis großer Datenbanken trainiert werden muss, wird sich aber mit der zunehmenden Verbesserung der KI-Fähigkeiten schnell durchsetzen.

Telemedizin-Anbieter revolutionieren die Branche

1. accuRx

Dieser Anbieter war ursprünglich auf SMS-Messaging für Gesundheitsversorger spezialisiert, erweiterte dann aber seinen Tätigkeitsbereich, um Unterstützung in der COVID-19-Pandemie zu leisten. Das Unternehmen baute innerhalb kurzer Zeit ein Videotelefonsystem auf und stellte es für Krankenhäuser im ganzen Land bereit, um eine schnelle und einfache Durchführung von Online-Sprechstunden zu ermöglichen. 

Da 95 % der NHS-Allgemeinarztpraxen dem Unternehmen vertrauen, war ein extrem schneller, kostenloser Rollout des Systems möglich, das sich auch in vorhandene klinische Systeme integrieren und damit deutlich einfacher nutzen lässt. Sogar Spezialisten in ein und demselben Klinikgebäude nutzen das System, um unnötige Kontakte und damit Kontaminationsrisiken zwischen verschiedenen Stationen zu vermeiden.

2. EMIS 

Das Angebot von EMIS beinhaltet eine Vielzahl verschiedener Produkte, darunter EMIS Web, die mobile Version seiner zentralen Telemedizin-Plattform. EMIS Web eignet sich für Patientenmanagement, Terminplanung und zur Erstellung detaillierter Berichte. Eine der Fallstudien des Serviceanbieters beschreibt die Situation im Wingate Medical Centre in Liverpool, in dem die Implementierung der EMIS-Software die Zahl der täglich behandelten Patienten um 40 % steigern konnte. 

EMIS lieferte auch ein Handlungsschema für die Gesundheitsversorgung zu Corona-Zeiten, das von medizinischen Experten zur Optimierung der Patientenströme in der Primärversorgung erstellt wurde. Dass es dem Unternehmen gelang, schnell auf die aktuelle Situation zu reagieren, wird voraussichtlich den Erfolg seiner Software steigern.

3. TPP

Anders als accuRx und EMIS, die sich speziell an Gesundheitsversorger richten, bietet TPP eine App für Patienten: Airmid. Sie ermöglicht Online-Terminbuchungen, Zugang zu Patientenakten und die Bestellung von Medikamenten im Rahmen einer Wiederholungsmedikation. Mit SystmOnline stellt TPP alternativ auch ein webbasiertes Patientenportal zur Verfügung. In Verbindung mit anderen Softwareprodukten von TPP, z. B. SystmOne, bietet das Portal eine umfassende Lösung für das Patientenmanagement und die Entwicklung von Behandlungsplänen.

SystmOne ist seit etwa 20 Jahren im Einsatz und verfügt über einen entsprechend großen Datenbestand. TPP hat es sich zum Ziel gesetzt, innerhalb des Gesundheitssystems jedem den Zugriff auf einzelne freigegebene ePAs (elektronische Patientenakten) zu ermöglichen und damit zu einer effektiven Patientenversorgung beizutragen. Da der Zugriff von überall aus erfolgen kann und an keinen physischen Ort gebunden ist, lässt sich das System gut mit Telemedizin kombinieren.

4. Immedicare

Als klinisch-technologische Partnerschaft zwischen der Klinik Airedale NHS Foundation Trust und dem Technologieunternehmen Involve Visual Collaboration Ltd., ist Immedicare auf die Zusammenarbeit mit Pflegeheimen spezialisiert. Immedicare ist ein zentraler digitaler Hub, der für Video-Anrufe von Pflegeheimen in ganz Großbritannien zur Verfügung steht und einen ständigen Austausch ermöglicht. Er besteht aus einem kompletten klinischen Team mit Spezialisten verschiedener Fachrichtungen, z. B. Notfallmedizin, Sozialarbeit und Sterbebegleitung.

Ziel von Immedicare ist eine optimale Gesundheitsversorgung bei reduzierter Anzahl an Notdienst- und Arztbesuchen für Pflegeheimbewohner. Eine Immedicare Fallstudie über die Seniorenresidenz Headingley Hall in Leeds zeigt, dass dort durch Telehealth-Services in nur einem Monat 14 Klinikeinweisungen vermieden werden konnten. Solche Erfolge könnten zu einem bedeutenden Faktor im öffentlichen Gesundheitswesen werden.

5. Push Doctor

Push Doctor ist eine weitere Patienten-App, die Videosprechstunden mit dem Hausarzt ermöglicht und auf dem sogenannten „Doctor-on-Demand“-Konzept basiert. Im Wesentlichen ersetzt Push Doctor die traditionelle Sprechstunde durch einen virtuellen Arztbesuch. Das System wird durch die Care Quality Commission reguliert und erhielt in Großbritannien die erste „gute“ Bewertung im Bereich der digitalen Gesundheitsversorgung. Es ist jedoch nicht als Ersatz für einen lokalen Allgemeinarzt gedacht: Die die Patienten werden weiterhin von ihrer lokalen Hausarztpraxis betreut und nutzen Push Doctor als Ergänzung. 

Die App kann allerdings nur von Patienten genutzt werden, deren Arzt sich damit einverstanden erklärt hat, was die Zahl der Nutzer potenziell einschränkt.

6. GP at Hand

GP at Hand, ehemals Babylon, revolutioniert das britische Gesundheitssystem auf eine andere Art als die zuvor genannten Lösungen. Um es zu nutzen, ist eine Abmeldung von der lokalen Allgemeinarztpraxis erforderlich. Die medizinische Versorgung wird auf eine Online-Plattform verlagert und geht vollständig auf die „Teledocs“ über, wobei an bestimmten Standorten in London und Birmingham physische Untersuchungen angeboten werden. GP at Hand liefert mit seiner App auch einen KI-basierten Symptom-Checker, der ohne menschlichen Kontakt eine Voreinschätzung trifft. 

Insgesamt zählt GP at Hand derzeit 75.000 registrierte Patienten. Dass sich die Registrierungen auf eine bestimmte Region konzentrierten, obwohl GP at Hands eine Online-App ist, warf in Bezug auf das NHS-Finanzierungsmodell viele Fragen auf und löste eine Debatte über die Zukunftsfähigkeit dieses Modells aus. Was erschwerend hinzu kam: Es war zunächst unklar, dass Patienten vor der Registrierung bei GP at Hand ihren lokalen Allgemeinarzt verlassen müssen; außerdem ist eine Nutzung der Services von GP at Hand erst nach einem längeren Registrierungszeitraum möglich. Dies alles rückte GP at Hand ins Zentrum einer Kontroverse.

7. Skin Analytics

Skin Analytics ist zwischen Telemedizin und der allgemeineren Telehealth positioniert und unterscheidet sich deutlich von den zuvor genannten Tools, da es auf einer speziell entwickelten KI basiert. Skin Analytics arbeitet mit privaten Gesundheitsanbietern zusammen. So erhalten Mitglieder von Vitality beispielsweise Haut-Check-Kits, und die Drogeriekette Superdrug testet derzeit einen Checking-Service in ihren Filialen.

Die Universitätskliniken des University Hospitals Birmingham NHS Foundation Trust (UHB) führen derzeit eine Pilotstudie für eine Zusammenarbeit mit Skin Analytics durch. In dieser Studie werden Hautläsionen von den Patienten fotografiert und die Bilder durch KI-Technologie vorsortiert, um festzustellen, welche Läsionen unbedenklich sind und welche baldmöglichst dermatologisch untersucht werden sollten. Bei Erfolg des Pilotprojekts ist davon auszugehen, dass diese Technologie großflächig beim NHS eingeführt wird.

Die Zukunft der Telemedizin 

COVID-19 hat gezeigt, dass die Frage, ob Versorger Telemedizindienste von zu Hause aus leisten können, klar mit Ja zu beantworten ist und man deshalb eine wachsende Verbreitung von Telehealth-Services erwarten kann. Wir wissen, dass über 96 % der NHS-Allgemeinarztpraxen über ePA-Systeme verfügen und damit schon eine infrastrukturelle Basis für den weiteren Aufbau vorhanden ist. Die Bereitschaft der Patienten zur Nutzung von Telemedizin-Services ist ebenfalls gegeben, zumal die nationale medizinische Telefonauskunft NHS 111 mit einem hohen Anrufvolumen stark ausgelastet ist.

Klar ist jedoch auch, dass noch ein langer Weg vor uns liegt, da Telemedizin bis zum Ausbruch von COVID-19 nur sehr langsam implementiert wurde. Abgesehen von den üblichen Widerständen, die bei der Einführung neuer Technologien immer eine Rolle spielen, führen auch Faktoren wie Finanzierung, Schulung und ganz einfach die Gewöhnungszeit zu einem eher zurückhaltenden Vorgehen der Gesundheitsversorger. 

Die zur Ausübung von Telemedizin erforderliche Hardware für die Remote-Arbeit könnte sich ebenfalls als verlangsamender Faktor erweisen. Ob VoIP-Telefone, Laptops oder auch nur der Internetanschluss – angesichts der vielen zusätzlichen Ausgaben, die finanziert werden müssen, könnten private Praxen gegenüber dem NHS im Vorteil sein. 

Es ist anzunehmen, dass Telefon- und Videosprechstunden auch nach Abklingen der Pandemie weiterhin gern genutzt werden und die Zahl der Online-Apotheken steigt. Allerdings ist auch eine Stagnation zu befürchten, wenn viele sich mit diesem Status zufriedengeben und die Entwicklung nicht weiter vorantreiben. Hier wiederum könnten Pilotprogramme wie die Zusammenarbeit des UHB mit Skin Analytics helfen, die Effektivität dieser Technologie offiziell nachzuweisen und damit die Investitionstätigkeit anzuregen.

Es ist anzunehmen, dass Telefon- und Videosprechstunden auch nach Abklingen der Pandemie weiterhin gern genutzt werden.

Darüber hinaus könnten auch andere Aspekte der Telehealth an Bedeutung gewinnen. Apps wie Calm und Betterhelp beispielsweise stellen virtuelle therapeutische Lösungen bereit und sind damit potenzielle Wegbereiter der Telepsychiatrie im Bereich der psychischen Gesundheit. Während bei Verhaltensstörungen oder komplexeren psychischen Erkrankungen weiterhin eine persönliche Behandlung erforderlich sein dürfte, könnten sich mögliche Online-Therapiedienste als hilfreiche Unterstützung der überlasteten lokalen Therapieeinrichtungen erweisen. Genauso ließe sich durch die Remote-Überwachung von Patienten möglicherweise die Zahl der Krankenhausbesuche zur Nachsorge oder Kontrolle für chronisch Erkrankte reduzieren.

Fazit

Die Telemedizin steht heute an der Schwelle zur vollständigen Akzeptanz. Das Coronavirus zwang die Gesundheitsversorger, sie zu nutzen, und beschleunigte so eine Entwicklung, die sich auch nach Abklingen der Pandemie weiter fortsetzen könnte.

In den USA, wo das Gesundheitswesen deutlich heterogener ist und die Leistungen je nach Bundesstaat und Medicare-Versorgung variieren, ist die Vielfalt an Telehealth-Services entsprechend groß. In Großbritannien müssen sich solche neu eingeführten Services immer im Rahmen des NHS bewegen oder mit diesem zusammenarbeiten, was den Handlungsspielraum einschränkt. Dies ist prinzipiell nicht als Nachteil zu sehen – immerhin sorgt es für ein Mindestmaß an Sicherheit und Effektivität –, schafft jedoch eine ganz andere Marktsituation.

Echte Branchenrevolutionäre werden diejenigen sein, die das Diagnostikwesen – DERM AI von Skin Analytics ist hier besonders vielversprechend – oder die Anmeldung bei medizinischen Praxen von Grund auf verändern. Die Möglichkeit, sich bei „Teledoc“-Services zu registrieren, könnte die lokalen Allgemeinarztpraxen entlasten und es ihnen ermöglichen, sich verstärkt auf komplexere Fälle zu konzentrieren. Einfache Kontrolltermine oder die Ausstellung von Wiederholungsrezepten dagegen könnten auf eine Online-Plattform verlagert werden.

 

 

 

 

 

Ursprünglich veröffentlicht 18 Feb, 2021, Aktualisiert 13 Jan, 2023

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