Die Digitalisierung hat unseren Alltag in den letzten Jahren nachhaltig verändert. Vor allem in unserem Berufsleben ist der Einfluss digitaler Kommunikationssysteme und neuer Arbeitsplatz- und Arbeitszeitmodelle spürbar. In diesem RingSide Interview teilt Prof. Dr. Jens Böcker seine Ansichten und Einschätzung zum Thema digitale Transformation.
Wie sieht Ihr beruflicher Werdegang aus?
An der Georg-August-Universität in Göttingen habe ich Wirtschaft studiert und dort auch promoviert. Mein Doktorvater Prof. Dr. Hans Knoblich hatte ein Faible für den Einsatz innovativer Technologien im Marketing. Dieser Idee bin ich bis heute treu geblieben – mich interessieren die Einsatzmöglichkeiten von Innovationen und deren Akzeptanz im Markt.
Nach der Hochschule war ich in der Beratung (Simon, Kucher & Partners) und der Industrie (Mannesmann o.tel.o) tätig. Beides waren wichtige praktische Erfahrungen in Vorbereitung auf meine heutige Aufgabe als Professor für Marketing an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.
Ferner bin ich Partner und wissenschaftlicher Beirat in der Beratung Böcker Ziemen in Bonn. Darüber hinaus habe ich weitere verschiedene Beiratsmandate inne.
Was bedeutet digitale Transformation für Sie?
Die Herausforderung für Unternehmen ist, langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben – und das angesichts sich massiv ändernder Rahmenbedingungen. Kundenanforderungen verändern sich, Branchen unterliegen einem strukturellen Wandel und kontinuierlich sind neue Technologien verfügbar. Das alles führt dazu, dass Unternehmen nicht so weitermachen können wie bisher. Sie sind gefordert, ihre Position immer wieder aufs Neue zu überdenken. Hier einige Beispiele für typische strategische Fragestellungen:
o Wie können Produkte weiterentwickelt werden?
o Wie können Kundendaten gesammelt und systematisch genutzt werden?
o Wie können Online und Offline Vertriebskanäle miteinander verzahnt werden?
Diese Fragen lassen sich nur mit Hilfe digitaler Tools lösen. Das Aggregieren von Daten, deren Analyse und die Ableitung automatisierter Prozesse ist ohne Software nicht möglich.
Digitale Transformation bedeutet damit, die Chancen von Technologien gezielt zu nutzen, um die Position des Unternehmens zu stärken und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.
Wie bewerten Sie den Handlungsbedarf und den Status quo beim Thema Digitalisierung?
Digitale Transformation ist ein langfristiger Prozess. Unternehmen haben jeweils eine andere Ausgangssituation, verfügen über unterschiedliches Knowhow und finanzielle Mittel. Damit unterscheidet sich die digitale Reise von Unternehmen und es entsteht auch ein sehr unterschiedlicher Handlungsbedarf.
Es gibt jedoch eine große Gemeinsamkeit – der größte Handlungsbedarf besteht darin, die IT-Kompetenz im Unternehmen sowohl für das Management als auch für alle Mitarbeiter zu stärken. Hierzu zählt beispielsweise die Definition einer Datenstrategie, d.h. welche Daten zu welchem Zweck wie gesammelt werden.
Auch das Verständnis für den Wert von Daten muss geschärft werden – aus Rohdaten „wertvolle Informationen“ gewinnen zu können ist die Herausforderung schlechthin. Dies ist sowohl ein technischer, als auch ein kreativer Prozess. Einerseits muss geklärt werden, was möglich ist, andererseits stellt sich stets die Frage, wie der maximale Nutzen aus Daten herausgeholt werden kann.
Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen beim digitalen Wandel?
Häufig fehlt es an der eigenen Kompetenz, die Chancen der Digitalisierung aus Sicht des Unternehmens zu identifizieren und entsprechend zu bewerten. Auch bei der Umsetzung von digitalen Ideen fehlen häufig Erfahrungswerte. In diesem Fall können sich Unternehmen schnell verzetteln und auf das „falsche Pferd“ setzen.
Empfehlenswert ist beispielsweise die Zusammenarbeit mit Digitalisierungsprofis. Diese sollten aufgrund Ihrer Expertise konkrete Umsetzungsbeispiele mitbringen, diese gemeinsam mit dem Management bewerten und zügig einen „PoC – Proof of Concept“ aufsetzen. Besser noch ist von einem „PoV – Proof of Value“ zu sprechen, d.h. die Vor- und Nachteile von digitalen Lösungen umfänglich aus verschiedenen Perspektiven zu analysieren.
Inwieweit hat die Corona-Pandemie die Digitalisierung deutscher Unternehmen beeinflusst?
Die Pandemie hat das Kundenverhalten in einem atemberaubenden Tempo verändert. Traditionelle Vertriebskanäle haben an Bedeutung verloren, digitale Plattformen haben gewonnen. Nach zwei Jahren Pandemie ändert es sich wieder. Die Menschen suchen wieder ein echtes Shoppingerlebnis und stationäre Vertriebswege erleben eine Renaissance. Alles in allem heißt das, sehr flexibel agieren zu können und alle Wege zum Kunden offen zu halten.
Die Pandemie hat sich für viele Unternehmen als Digitalisierungsbeschleuniger erwiesen. Digitalisierungsprojekte wurden mutiger angepackt, Projekte wurden vorgezogen und es wurde mehr ausprobiert, was funktioniert. Diese Entwicklung ist insgesamt als sehr positiv anzusehen – viele Unternehmen haben sich den Chancen der Digitalisierung und damit dem Prozess der digitalen Transformation mehr geöffnet.
Welche Entwicklungen erwarten Sie in den kommenden Jahren?
IT-Skills werden zur selbstverständlichen DNA eines Unternehmens gehören. Diese IT-Skills haben einen starken Business Bezug – mit anderen Worten: jede Entscheidung im Unternehmen ist IT-relevant. Dies erfordert, dass die IT ein hohes Maß an Verständnis für die Geschäftsmodelle und Prozesse des Unternehmens besitzt. So ergibt sich eine viel stärkere Verzahnung beider Bereiche und ein viel stärkeres gegenseitiges Verständnis. Das Management muss ein hohes Maß an IT-Kompetenz mitbringen und die IT-Entscheider eine hohe Empathie in Richtung Business.
Isolierte IT-Insellösungen, die es leider immer wieder gibt, sollten eine aussterbende Spezies sein. Verschiedene Anwendungen sind über Schnittstellen optimal miteinander vernetzt und Daten können für die verschiedenen Belange des Unternehmens optimal genutzt werden. Am Ende werden wir eine viel stärkere Automatisierung sehen, nicht nur in der Kommunikation, sondern auch im Service und Verkauf.
Ursprünglich veröffentlicht 18 Jul, 2022, Aktualisiert 13 Jan, 2023